- Wikinger: Schiffsgräber und Runensteine
- Wikinger: Schiffsgräber und RunensteineVöllig überraschend landeten im Jahr 793 »Männer aus dem Norden« vor der Küste Englands und plünderten das Kloster Lindisfarne. Die Wikinger, wie sie nach dem altnordischen Wort »víkingr« (»Seepirat«) genannt wurden, traten von nun an als Krieger, Händler und Siedler überall dort auf, wohin sie mit ihren zu höchster Perfektion entwickelten Schiffen gelangen konnten. Von ihrer Heimat in Dänemark, im südlichen Schweden, im Gebiet um den Oslofjord und den weiter nordwärts gelegenen Küstenzonen aus führten sie ihre Expeditionen bis nach Nordafrika und ans Kaspische Meer. Stützpunkte wurden in Finnland und Russland, auf den Britischen und Irischen Inseln, in der Normandie, auf den Faröerinseln, auf Island, Grönland und - für kurze Zeit - auch in Nordamerika errichtet. Die ersten Städte wurden in Skandinavien gegründet: Ribe und Haithabu, Birka, Oslo und Trondheim.Die Stile der Wikingerkunst, der in Skandinavien und in den von dort aus besiedelten Gebieten hergestellten Kunst von der zweiten Hälfte des 8. bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts, lassen sich nach der Art ihrer Tierornamentik unterscheiden. Denn Alltagsgegenstände wie Schiffe, Schlitten, Möbel, Kleider, Schmuck oder Waffen wurden mit Verzierungen geschmückt. Die heutigen Bezeichnungen der Stile entsprechen meist den Orten der Grabfunde. Die verschiedenen Tierstile lassen sich sowohl unter zeitlichen wie auch unter geographischen Gesichtspunkten voneinander abgrenzen.Für die Zeit zwischen 500 und 800 ist die Unterscheidung der Stile gebräuchlich, die Bernhard Salin in seinem Werk »Die altgermanische Tierornamentik« (1904) gegeben hat. Die Wikingerkunst setzt mit den letzten Phasen des dritten der von Salin beschriebenen Stile ein. Arbeiten im Broa-Stil, der nach einem Fund von Pferdegeschirren aus vergoldeter Bronze bei Broa auf Gotland benannt wurde, sind etwa bis zum frühen 9. Jahrhundert belegt; charakterisiert ist er durch Tiere mit bandförmigen, spitz zulaufenden Körpern mit ballonartig angeschwollenen Hüften. Ebenfalls noch der frühen Wikingerzeit gehört der Oseberg-Stil an, benannt nach dem dendrochronologisch ins Jahr 834 datierten Schiffsgrab von Oseberg in Südnorwegen. Die Tiere des Borre-Stils aus der mittleren Periode der Wikingerzeit haben kreis- oder brezelförmige Körper, vier Beine und Klauen. Auf einem Becher, der in einem der beiden königlichen Grabhügel von Jelling in Jütland gefunden wurde, erscheinen die für den Jelling-Stil typischen lang gezogenen, bandartigen, s-förmigen Körper. Der nach einem Grabfund in Jütland benannte Mammen-Stil aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts wird mit identifizierbaren Tieren (zum Beispiel Löwen, Vögel, Schlangen) und asymmetrischen Ranken zur späten Wikingerzeit gerechnet. Diese Periode wird vor allem durch den Ringerike-Stil mit seinen in breites Flechtwerk aufgelösten Tierformen und den Urnes-Stil bestimmt, der in die Urnes-Romanik des 12. Jahrhunderts übergeht. Die Skulpturen an der Stabkirche im norwegischen Urnes, für die ältere Holzreliefs mit von dünnen Ranken überzogener Tierornamentik wieder verwendet wurden, belegen den hohen Stand künstlerischer Holzbearbeitung. Wegen der schnellen Vergänglichkeit dieses Materials sind davon - wie auch von der Textilkunst der Wikinger - aber nur noch wenige Zeugnisse erhalten.Prof. Dr. Ulrich Kuder
Universal-Lexikon. 2012.